Eine Schule muss mit all ihren Akteuren von ihrer Kraft und ihrem Stellenwert in der Gesellschaft zutiefst überzeugt sein
 

 
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Das Ehrenamt an BS und TI
 
 
 


Engelbert Cremer hat nach sechsundzwanzig Jahren in der Verantwortung an der Bischöflichen Schule eine neue Bühne hinter der Bühne gefunden


von Norbert Meyers

Eine Ära ging zu Ende… Am 31. Juli 2009 hatte Engelbert Cremer offiziell seinen letzten Schultag an der „BS“. Nach rund dreieinhalb Jahrzehnten im Unterrichtswesen, darunter etwas mehr als sechsundzwanzig Jahre als Direktor hängte der „Dino“ unter den ostbelgischen Schulleitern wenige Wochen nach seinem sechzigsten Geburtstag den Ranzen definitiv an den Nagel.

Angefangen hatte alles eingangs der sechziger Jahre, an selber Stelle, in der Klosterstraße in St.Vith, als der gebürtige Bütgenbacher mit zwölf Jahren von der örtlichen Grundschule an die Bischöfliche Schule wechselte. Wie damals vielfach gängig mit ersten Gehversuchen im Fach Latein, ein Jahr später dann zusätzlich im Fach Griechisch.

Nach dem Abitur im - kulturpolitisch denkwürdigen - Sommer 1968 führte sein Weg an die Universität nach Lüttich, wo er nach einem Studium der romanischen Sprachen im Jahre 1972 an die „BS“ zurückkehrte. Als Lehrer. Für elf Jahre, ehe „die Berufung zum Direktor für mich sicher ebenso überraschend kam wie für viele meiner damaligen Kollegen“.

Etwas überraschend war nach dem Abitur sicher seine Studienwahl - Romanistik, damals doch eher unüblich für einen Studenten aus dem deutschsprachigen Ostbelgien. „Es gibt eben zu jeder Regel die Ausnahme… Ich habe diese Wahl damals als Herausforderung für mich als deutschsprachigen Studenten angesehen, nachdem die meisten, sofern sie sich denn für ein Sprachenstudium entschieden, für Germanistik optierten.“ Vorrangig sieht Engelbert Cremer diese Wahl jedoch „als Teil meiner eigenen Leidensgeschichte“.

Und er blättert zurück auf das Schuljahr 1961-62, „als ich im ersten Mittelschuljahr sang- und klanglos durchgefallen bin, weil ich nicht genügend Französisch konnte. Auch danach habe er noch regelmäßig Schwierigkeiten in Französisch gehabt (in den sechziger Jahren immerhin auch in vielen nicht-sprachlichen Fächern die Unterrichtssprache schlechthin). „So habe ich mir womöglich gedacht, dass ich durch ein eigenes Studium in romanischen Sprachen vielleicht irgendwann mal neue Konzepte für den Zweitsprachenunterricht entwickeln könnte“, skizziert er denkbare Beweggründe für die damalige Entscheidung, „die ich übrigens niemals bereut habe“.


Engelbert Cremer, heute wird ein Direktorenmandat per Stellenanzeige ausgeschrieben. Wie war das zu Ihrer Zeit, vor 26 Jahren?
Zuerst einmal muss daran erinnert werden, dass damals sowieso nur eine zeitweilige Besetzung der Funktion vorgesehen war, da Josef Pankert nach einem chirurgischen Eingriff für längere Zeit nicht zur Verfügung stehen würde. Nachdem Walter Heyen, der bereits vier Jahre zuvor, in einer ähnlichen Situation, während sechs Monaten „ad interim“ vom Bistum an die Spitze der „BS“ berufen worden war, diesmal nicht nochmals zur Verfügung stand, musste ein anderer Weg beschritten werden. Weshalb Josef Pankert vorab mit dem Bistum vereinbart hatte, dass sein Stellvertreter durch eine Wahl innerhalb des Lehrerkollegiums bestimmt werden sollte. Es gab mehrere Kandidaten, insgesamt fünf. Jeder Lehrer hatte zehn Stimmen, konnte seine Stimmen also theoretisch auf alle Kandidaten verteilen. Offenbar bin ich dann auf diese Weise gewählt worden, denn ich kenne, ehrlich gesagt, bis heute nicht das offizielle Wahlergebnis.

Haben Sie damals auch nur ansatzweise gedacht, dass diese Funktion mehr als ein halbes Berufsleben einnehmen könnte?
Absehbar war das nicht, als ich diese Funktion im Frühjahr 1983 angetreten habe. Zuerst sollte es nur ein Job „auf Zeit“ sein. Jedenfalls habe ich mich keinen Moment lang mit dem Gedanken getragen, dass daraus eine längere oder gar definitive Geschichte werden könnte. Für mich war es anfangs immer wieder eine befristete Vertretung, die mehrmals verlängert wurde, bis sie zu guter Letzt mehr als ein Vierteljahrhundert gedauert hat. Ich denke, ich bin da nach und nach irgendwie hineingewachsen. Allerdings gab es damals auch kein Zurück in den Unterricht, da das Statut völlig anders ausgelegt war als heute. Für einen Direktor war es nahezu unmöglich, in seinen Lehrerberuf zurückzuwechseln.


„Mit den Schuhen ist es wie mit allen Dingen im Leben: Man muss hineinwachsen. Erst wenn man einige Jahre darin verbracht hat, setzt allmählich das Gefühl und Gespür ein, dass die Schuhe einem immer besser passen.“


Sie folgten bei Ihrer Berufung zum Direktor 1983 auf keinen Geringeren als „Zeus“… Wie groß waren die Schuhe von „Baumeister“ Josef Pankert, der der Schule ja auch 22 Jahre vorgestanden hatte?
Diese Schuhe waren nicht nur  mir zu groß, sondern sicher auch jedem andern an der Schule. Das lässt sich einfach nicht leugnen. Deshalb wollte sich keiner so richtig an dieses Amt heranwagen. Und wenn doch, dann bestenfalls vertretungsweise. Mit den Schuhen ist es wie mit allen Dingen im Leben: Man muss hineinwachsen. Erst wenn man einige Jahre darin verbracht hat, setzt allmählich das Gefühl und Gespür ein, dass die Schuhe einem immer besser passen.

Sie übernahmen den neuen „Job“ zu einer Zeit, als das Unterrichtswesen bedeutenden Zäsuren ausgesetzt war. Wie war die damalige Situation?
Ehrlich gesagt wenig erbauend. Die Lage war für alle, Direktor wie Lehrer, eher entmutigend. Die Übernahme der neuen Funktion war geprägt von einer Zeit der Krise im Schulwesen. Bedeutende soziale Einschnitte in den achtziger Jahren machten auch vor den Schulen respektive dem Unterricht nicht halt. Als von Regierungsseite der Index eingefroren und die Stundenzahlen reduziert wurden, habe ich schon manch schlaflose Nacht bei der Suche nach angemessenen Lösungen verbracht. Schließlich fällt es einem nicht leicht, wegen rückläufiger Schülerzahlen infolge geburtenschwacher Jahrgänge oder wegen sonstiger Sparzwänge jungen Lehrern ihre Entlassung oder ihren zwangsweisen Wechsel an eine andere Schule mitzuteilen. Die Vergemeinschaftung des Unterrichtswesens im Einklang mit einer Reihe paralleler Maßnahmen (darunter u.a. die Erhöhung der Funktionszuschüsse und die Indexanbindung) bot ab Anfang der neunziger Jahre endlich wieder den gewünschten Freiraum bei der Gestaltung des Schullebens.

Wo lagen in all diesen Jahren weitere „Tretminen“?
Im Grunde stellten sich zu jeder Zeit neue, andere Probleme. Und keineswegs nur struktureller oder finanzieller Art. So gerade im letzten Jahrzehnt rasante gesellschaftliche Entwicklungen, etwa die verstärkte Individualisierung, Säkularisierung und Mediatisierung. Herausforderungen, die vor dem Hintergrund der sich auffallend verschiebenden Werteskala nur zu stemmen sind, „wenn die Schule mitsamt all ihren Akteuren von ihrer Kraft und ihrem Stellenwert, den sie weiter der Gesellschaft spielt, zutiefst überzeugt ist“.

Sie waren bei Ihrer definitiven Ernennung mit 34 Jahren ungewohnt jung. War das ein Handicap? Oder eventuell sogar ein Vorteil? Wäre das heute überhaupt denkbar?
Nein, ich glaube kaum, dass das heute denkbar wäre. Im Nachhinein würde ich auch sagen: Ich war zu jung. Aus zwei Gründen: Einerseits ist ein junger Mensch oft ein bisschen stürmisch, manchmal zu stürmisch. Andererseits ist die Gefahr groß, dass jemand, der jung in einer Funktion anfängt, meist auch länger, so sogar sehr lange bleibt. Und das ist schon sehr aufreibend, kann sogar zermürbend sein. Jedenfalls wären die Verschleißerscheinungen sicher geringer gewesen, wenn ich dieses Amt hätte später antreten können.

Sie haben ein Stichwort geliefert, konkret: stürmisch. Sie selbst haben Ihr Abitur im stürmischen Sommer 1968 erhalten. Wie haben Sie diese Zeit hier in Ostbelgien und nachfolgend an der Universität erlebt? Inwieweit haben die damaligen Ereignisse Sie geprägt, als Pädagoge, als Mensch?
Ich gehöre bestimmt nicht zu denen, die die 68er Jahre in dem Sinne idealisieren, dass damals alles toll und fantastisch war. In der Gegend selber, also hier in Ostbelgien und besonders in der Eifel, war kaum etwas spürbar von der damaligen Bewegung. An der Uni in Lüttich dagegen schon in beträchtlichem Maße. Im Grunde hat sich jedoch vor allem die Erkenntnis durchgesetzt, dass von den 68er Jahren eine Aufbruchstimmung geblieben ist, die, bei meiner Rückkehr nach St.Vith, auch an der Bischöflichen Schule nachwirkte und erkennbar hier an der Schule ihre Früchte trug. Und wichtig ist zu wissen, dass diese Zeit, diese Bewegung für die Identitätsfindung der Deutschsprachigen in Belgien und ihr politisches Selbstbewusstsein einen unschätzbaren Beitrag geleistet haben.

Ein Standort, wo dieses Selbstbewusstsein kontinuierlich gewachsen ist, war die „BS“, gerade in den frühen siebziger Jahren, als Sie hier begonnen haben. Damals war die Schule auch eine politische „Bühne“. Darf an einer Schule überhaupt Politik gemacht werden?
Im Sinne von Parteipolitik sollte eine Schule keine Politik machen, wohl aber im Sinne von Gesellschaftspolitik, da eine Schule auch den Auftrag hat, Gesellschaft mitzugestalten.

Es ist aber dennoch so, dass gerade diese frühen siebziger Jahre den Standort „BS“ entscheidend geprägt haben, nach innen wie nach außen.
Es ist unbestritten, dass die Schule in der öffentlichen Wahrnehmung durch die damalige Entwicklung geprägt worden ist und sie zugleich mitgeprägt hat. So etwa durch die Schrift über die Demokratisierung des Unterrichtswesens. Ein Dokument, in dem gefordert wurde, dass das Bildungswesen allen Bevölkerungsschichten zugänglich sein müsse, u.a. indem die Unterrichtssprache die Muttersprache sein sollte.

In Ihre Zeit als Direktor fiel die erste Fusion von Grundschulen in den Gemeinden, genauer in Amel, wo unter dem kommunalen Dach die Bischöfliche Schule und die staatliche Schule zusammengeführt wurden. Wie wichtig und richtungsweisend war dieser Schritt?
Zunächst war es einmal ein unerlässlicher Schritt für die Ortschaft, durch die seit Jahren ein Riss ging. Mit der Fusion wurde sehr viel getan für den Zusammenhalt des Dorfes, das Miteinander der Kinder und auch der Vereine. Sicher war es damals eine ungewöhnliche Geschichte, dass eine bischöfliche und eine staatliche Schule sich gemeinsam in die Verantwortung einer Gemeinde übertrugen. Für Belgien war es jedenfalls ein bis dahin unvorstellbares Ereignis. Und für unsere Gegend war es ein Signal, dass es sich durchaus lohnt, ab und zu auch neue Wege zu gehen, die außerhalb Ostbelgiens für viele nicht verständlich oder nachvollziehbar sind. Aber es war nicht einfach, sondern sehr komplex.

Mit Ihrem Namen ist auch die „verschärfte“ Schulordnung verbunden. Ein Thema, das 2001 ungewohnt weite Kreise zog. Hatten Sie mit einer solch heftigen Reaktion gerechnet?
So heftig nicht, da will ich ganz ehrlich sein. Dass dieses Projekt durchaus Widerspruch auslösen würde, war mir und vielen andern an der Schule aber durchaus klar. Aber an ein derartiges publizistisches Echo hätte ich im Traum nicht gedacht, niemals. Das sprengte jeden Rahmen. Zeitungen, Radios und sogar Fernsehen aus dem In- und Ausland meldeten sich hier an der Schule an, quer durch Deutschland, aber ebenfalls aus der Schweiz. Ich habe damals oft gedacht: Wie kann jemand nur so geringfügigen Dingen eine solch große Bedeutung beimessen.

Aber Sie hatten damals etwas losgetreten, dass für diese Zeit offenbar sehr ungewöhnlich war: Im schulischen Raum stand plötzlich nochmals das Wort „Ordnung“. Oder!?
Ich weiß nicht schlüssig zu sagen, ob es genau daran festzumachen ist. Das Problem, so habe ich es damals zumindest analysiert, lag darin, dass die Öffentlichkeit es nicht gewohnt war, dass eine Schule formell sagte und festschriebt: Das sind die Grenzen, die sind nicht zu überschreiten. Und wenn doch, dann akzeptieren wir das nicht. Der Grundton war einfach: Die Bischöfliche Schule verlangt menschlichen Umgang miteinander und steht allen Äußerungen ablehnend gegenüber, die zu Gewalt oder Gewaltbereitschaft führen könnten. Symbolisch oder sonst wie. Das war´s dann auch schon. Mehr steht da im Grunde nicht drin, selbst wenn es natürlich schon sehr detailliert dargelegt ist. Ich glaube nach wie vor, dass gegen einen solchen Grundton nichts einzuwenden ist.


„Ich habe mir nur stets die Frage gestellt, was wir besser machen können im Vergleich zu dem, was wir jetzt sind. Der Vergleich mit anderen bringt nichts.“


Was unterscheidet die „BS“ von anderen Schulen?
Eine nach außen hin sicher interessante Frage, die ich mir aber nie gestellt habe. Ich habe mir nur stets die Frage gestellt, was wir besser machen können im Vergleich zu dem, was wir jetzt sind. Mir ist nur an einem kontinuierlichen Vergleich mit uns selbst gelegen, denn der Vergleich mit anderen bringt nichts. Man kennt die andern Schulen nicht ausreichend, würde ihnen möglicherweise Unrecht tun. Deshalb ist es sinnvoller, jeder beschäftigt sich mit sich selbst und mit dem, was er hausintern verbessern kann.

Sie gelten allseits als Kumpeltyp. Hat das Ihre Amtsführung erleichtert oder erschwert?
Anfangs galt ich mit Sicherheit als Kumpeltyp, schließlich bin ich als erster Laie an der Spitze der Bischöflichen Schule aus dem Lehrerkollegium hervorgegangen. Es gab also keine gewachsene hierarchische Distanz. Jedoch hat sich diese Einschätzung mit den Jahren, mit fortschreitendem Alter (auch Dienstalter) ohne Zweifel ein wenig geändert. Ich komme sehr gut aus mit Leuten, ich habe meist auch sehr einfachen Zugang zu Leuten, brauche, wenn es sein muss, keinen komplizierten Wortschatz. Dieses Vorgehen kommt mir oftmals zugute, manche sehen auf diese schlichte Form der Kommunikation vielleicht eher etwas herab. Aber das ist nun mal mein Wesen, zu dem ich auch „im Amt“ immer gestanden habe und das mir meist sehr dienlich war.

Welche Qualitäten muss ein Schulleiter denn heute allgemein einbringen können?
Er sollte um Offenheit und Besonnenheit bemüht sein, gerade im meist sehr sensiblen Dreiecksverhältnis Schüler-Lehrer-Eltern. Zudem werden von ihm organisatorische Qualitäten erwartet, immerhin obliegt dem „BS“-Direktor die Führung eines Betriebs mit rund 150 Angestellten, heißt: Lehrerkollegium, Verwaltung und Hauspersonal. Für alle betroffenen Partner und Parteien ist es sicher förderlich, wenn wesentliche Entscheidungen im Konsens herbeigeführt werden können. Sofern das aber nicht machbar ist, muss der Direktor durchaus das nötige Rückgrat zeigen, notfalls Klartext reden. Jedoch stets im respektvollen Umgang mit den betroffenen Menschen.

Sie haben die Übertragung des Unterrichtswesens in die Verantwortung der Gemeinschaft unmittelbar miterlebt. Wie zukunftsweisend war dieser Schritt, dem ja manche in Ostbelgien eher zurückhaltend gegenüberstanden?
In der Tat hatte man mitunter den Eindruck, als hätten die politischen Kräfte Angst vor dieser Verantwortung, die auf sie zukam. Eines ist aber unwidersprochen: Es war für unsere Gemeinschaft schlichtweg ein Glücksfall. Unser Unterrichtswesen in Ostbelgien hätte sich nicht so entwickeln können, wenn die Zuständigkeit weiterhin außerhalb der Gemeinschaft gelegen hätte. Vielleicht war es sogar die wichtigste Etappe und Errungenschaft überhaupt in der zunehmend ausgeweiteten Autonomie unserer Gemeinschaft.

In Ihre Zeit als Direktor fällt, quasi zehn Jahre nach der Zuständigkeit für das Unterrichtswesen, das neue Schulbaudekret. Erster „Nutznießer“ war die Bischöfliche Schule mit ihrem Internatsprojekt. Hätte es dieses Internat ohne die politischen Veränderungen überhaupt gegeben?
Nein! Das wäre einfach undenkbar gewesen, da ohne diese strukturelle Veränderung die Finanzierung eines neuen Internates nicht möglich gewesen wäre. Für uns, aber darüber hinaus für viele andere Schulen auch, war es eine unglaublich wichtige, ja vielleicht sogar existenzielle Entscheidung.

Was hat damals den Ausschlag für die Neuregelung gegeben?
Hartnäckigkeit und Ausdauer in den Verhandlungen. Mit einer Vielzahl an Argumenten im Ärmel, denen sich die Politiker quer durch alle Parteien nicht verschließen konnten. Anfangs jedoch waren die politischen Entscheidungsträger diesem Gedanken gar nicht gut gewogen. Letztlich ist es aber der Zähigkeit der Gespräche über zwei, drei Jahre zu verdanken, dass sie sich letztlich unsere Überlegungen zu eigen gemacht haben. Ich kann gar nicht sagen, wie viel Zeit, Energie und Entschlossenheit die Vertreter aller katholischen Schulen in die oft mühselige Überzeugungsarbeit investiert haben, mit der sie bei jeder Partei die Diskussion vorangetrieben und die bahnbrechende Entscheidung vorbereitet haben. Aber am Schluss kam kein Politiker mehr an der Neufassung der Regelung vorbei.

Wenn Sie sich jetzt „aufs Altenteil zurückziehen“, hinterlassen Sie die Bischöfliche Schule schuldenfrei. Was hat die Umsetzung dieses ehrgeizigen Ziels an Anstrengungen gekostet?
Planung, Planung und nochmals Planung… 1985 haben wir einen langfristigen Plan entworfen, der im Grunde zwei Dinge beinhaltete: Progressiv Rücklagen schaffen, um die Schuldenlage bewältigen zu können, zugleich Sparmaßnahmen, um diesen Rücklagenfonds auch speisen zu können. 2007 war das Ziel erreicht. Ein Weg, der nicht immer einfach war, der sich aber für alle gelohnt hat.


„Im Sinne von Parteipolitik sollte eine Schule keine Politik machen, wohl aber im Sinne von Gesellschaftspolitik, da eine Schule auch den Auftrag hat, Gesellschaft mitzugestalten.“


Wenn Sie zurückblicken, gab es da auch Momente, wo Sie den ganzen Kram am liebsten hingeschmissen hätten? Und was hat Sie ermutigt, trotzdem weiterzumachen?
Solche Momente gibt es mit Sicherheit in jedem Beruf und bei jedem Menschen. Diese Situationen bin ich methodisch angegangen. Ich nahm ein Blatt Papier, auf dem ich notierte, was alles nicht ging. Und da stand meistens eine Menge. Auf einem zweiten Blatt vermerkte ich dann, welche Lösungsmöglichkeiten sich ergaben. Wenn auf dem zweiten Blatt über fünfzig Prozent der Probleme eine Lösung fanden, habe ich mir gesagt: Jetzt kannst du weitermachen.

Es gibt doch sicher auch Punkte, die nicht nach Ihrem Gutdünken abgelaufen sind ...Das ist aber eine knifflige Frage, da der Mensch sich grundsätzlich vor allem an die guten Dinge erinnert und sehr schnell vergisst, was nicht wie gewünscht gelaufen ist.

Dennoch: Gibt es markante Einschnitte, wo Sie sagen würden: Das ist mir wirklich gegen den Strich gegangen?
Auf Anhieb könnte ich so etwas nicht sagen. Vielleicht gelegentliche Details, die aber dann so unbedeutend waren, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann.

Als sie jetzt gingen, wo und wie schwang da Freude mit?
Mich erleichtert vor allem, dass ich in Zukunft einen Teil an Verantwortung weniger habe. Gegenüber Lehrern, Personal, Schülern und Eltern. Denn diese Verantwortung kann durchaus schon mal zu einer Last werden, die einen bedrücken und auch erdrücken kann. Jetzt darf ich kräftig durchatmen kann, da ich diese Verantwortung weiterreichen kann.

Gab es in all diesen Jahren eine Person an der Schule, die Sie nicht hätten missen wollen?
Dazu brauchte ich eine lange Liste. Einen rauszupicken, wäre echt ungerecht, denn viele haben mal hier, mal dort, mal mehr, mal weniger ihren Teil zur Entwicklung der Schule beigetragen.

Vor zehn Jahren standen Sie auch mit an der Wiege des „Fördervereins“ (Club der Ehemaligen). Hat diese Initiative die erhofften Früchte getragen? Wie wichtig ist das Gremium in der Zwischenzeit für die „BS“ geworden?
Diese zehn Jahre haben gezeigt, dass der Förderverein eine ungemein wertvolle Stütze für die Schule geworden ist. Unsere Schule hatte ja vor allem ein Manko, das auch ich mir zum Teil ankreiden muss: In Sachen Öffentlichkeitsarbeit fehlte es vorne und hinten. Der Förderverein hat uns gerade auf diesem Gebiet durch seine Kollegialität und Professionalität einen Riesenschritt vorangebracht. Hinzu kommt noch die aktive Unterstützung bei einer Reihe pädagogischer und struktureller Projekte, die ich nicht missen möchte.

Sie bleiben der „BS“ durchaus noch erhalten, quasi als Baubeauftragter. Wie sieht diese Aufgabe konkret aus? Und wie viel Zeit nimmt Sie in Anspruch?
Über die erforderliche Zeit mache ich mir keine Gedanken, da habe ich ja künftig deutlich mehr Freiraum. Wie die Tätigkeit konkret aussieht, weiß ich dagegen schon, da sich die Arbeit nicht wesentlich von früheren Bauprojekten unterscheidet, heißt: Termine auf der Baustelle, Besprechungen mit dem Architekten, Absprachen mit den Unternehmen, nicht zu vergessen der Papierkram wie Fortschrittserklärungen, Abnahmeprotokolle u.ä.m.

Im Grunde haben Sie diese Aufgaben ja auch als Direktor bewältigt, räumen Ihrem Nachfolger diese Arbeit also quasi aus dem Weg ...
Ich wollte ihm vor allem die Möglichkeit geben, sich in dieser bestimmt nicht leichten Phase des Einstiegs in die neue Funktion vorrangig auf die Organisation des Unterrichts, die Begleitung der Lehrer, die Kontakte zu Schülern und Eltern konzentrieren zu können und nicht auch noch Zeit und Energie auf die laufenden Bauvorhaben verwenden zu müssen.

Ihnen wurde bereits unterschwellig eine Funktion in den Reihen der VoG Schulträger angetragen. Sehen Sie in der Tat in diesem Gremium mittelfristig ein neues Betätigungsfeld?
Ich stehe in absehbarer Zeit für ein Mandat im Verwaltungsrat zur Verfügung, aber die Arbeit im Vorstand möchte ich weiter jenen Leuten überlassen, die hier seit langem mit hoher Kompetenz und Entschlossenheit im Dienste der katholischen Schulen ehrenamtlich wirken. Zugleich erachte ich mein Engagement als einen Schritt der Solidarität, schließlich haben sie in der Vergangenheit ihre Zeit auch für meine, für unsere Schule investiert.


„Die Gefahr ist  groß, dass jemand, der jung in einer Funktion anfängt, meist auch länger, so sogar sehr lange bleibt.“


Für Ihre Nachfolge bewarb sich nur eine Person, mit Roland Lentz ein langjähriger Kollege an der „BS“. Hat es Sie nicht überrascht, dass es bei dieser alleinigen Bewerbung geblieben ist? Ist dieses Amt nicht erstrebenswert?
Aus der Erfahrung anderer Schulen ist die Situation gar nicht so ungewöhnlich. Auch dort standen die Bewerber zum Schulleiter nicht Schlange.

Nach der neuesten Regel ist das Mandat zeitlich begrenzt, auf fünf Jahre, mit möglicher Verlängerung. Ist das eine sinnvolle Entscheidung?
Auf jeden Fall! Mögliche Bewerber zögern vielleicht, weil sie denken, dass sie im Falle eines eventuellen Scheiterns ja nicht zurück können in ihren alten Beruf. So wie es zu meiner Zeit irgendwie unausweichlich war… Mit der Neuregelung ist diese Beklemmung jedoch vom Tisch: Wenn ein Bewerber innerhalb des nun begrenzten Mandats für sich erkennt, dass der Job ihm nicht liegt, kann er jederzeit zurück in seinen Lehrerberuf. Und wenn sie ihm zusagt, kann sein Mandat um weitere fünf Jahre verlängert werden.

Wo sehen Sie die unmittelbaren Herausforderungen für Ihren Nachfolger Roland Lentz?
Es liegt auf der Hand, dass sich mit jedem neuen Mann an der Spitze auch gewisse Neuerungen anbahnen. Und das ist sicher auch gut so, besonders nach einer solch langen Ära. Jedoch denke ich, dass er in einer ersten Phase auf Kontinuität bedacht sein wird, ehe er behutsam hier und da den Hebel nach seinen Vorstellungen, aber vielleicht noch mehr nach den oft schnell wechselnden Erfordernissen der Zeit ansetzen wird.

Wie wichtig ist es für das freie katholische Schulwesen in Ostbelgien, dass der aktuelle Bischof aus der Gegend kommt und früher sogar selbst Schuldirektor in Eupen war?
Wir sollten eher umgekehrt denken: Welche Unterstützung können unsere Schulen dem Bischof in seiner pastoralen Arbeit geben?

Und inwieweit ist es von Vorteil, dass der Unterrichtsminister früher an der „BS“ die Schulbank gedrückt hat?
In der Tat werden immer wieder vorschnell und leichtfertig Spekulationen angestellt, dass dieser Umstand der „BS“ zum Vorteil gereichen könnte. Dem muss ich entschieden widersprechen. Wenn Ehemalige unserer Schule in neuer Funktion in der Politik Verantwortung tragen, sind sie, dies hat die Erfahrung gezeigt, sogar doppelt vorsichtig, bevor sie „ihrer“ Schule irgendetwas gewähren. Schließlich möchten Sie ja nicht den leisesten Verdacht auf sich ziehen, „ihrer“ Schule bei Zuschüssen oder sonst wie einen Vorteil zukommen zu lassen. Deshalb sind wir bei Anträgen immer den üblichen Verwaltungsweg gegangen.

Sie gaben am 31. Juli 2009 quasi den Schlüssel ab ... und dürfen nun wieder rauchen, wo und wann Sie wollen. War das allseitige Rauchverbot an öffentlichen Einrichtungen eigentlich ein großer Einschnitt für Sie und Ihre Gewohnheiten als Pfeifenraucher?
Das eingeschränkte Rauchverbot an der Schule selbst war da das kleinere Problem, schließlich gab und gibt es auch weiterhin eigens ausgewiesene Räume für Raucher. Viel schwerer wog dagegen das Verbot, nicht mehr in den Büros rauchen zu dürfen, also auch nicht mehr in meinem eigenen Büro, wo ich ja jahrelang geraucht habe. Das war schon eine knifflige Geschichte, bei der ich mit mir kämpfen musste und unter der ich gelitten habe. Aber ich habe es echt geschafft, nie mehr in meinem Büro zu rauchen, seit dieser Beschluss in Kraft war, also seit rund fünf Jahren. Auf Baustellen dagegen darf geraucht werden…

Am letzten Schultag, am 30. Juni 2009, haben Sie sich als Direktor von den Lehrern, Eltern und Abiturienten verabschiedet wie ein Schauspieler oder Regisseur auf der Bühne - mit einer Verbeugung. Ehe der passionierte Bühnenmensch (der u.a. bei den Theatergruppen in seinem Heimatort Medell und in Rodt seit langen Jahren szenisch die Fäden zieht) dann definitiv hinter den Vorhang getreten ist. Was bezweckte diese Geste?
Vor allem wollte ich durch diese Verbeugung meine Ehrerbietung vor dieser Schulgemeinschaft kundtun, quasi als symbolischer Akt.

Was aber bleibt hinter dem Vorhang? In den Kulissen? Menschlich, persönlich?
Da werden sicher Momente der Wehmut wie der Freude bleiben. Einerseits weil in diese lange Zeit schon sehr viel von einem eingeflossen ist, gerade in den zahlreichen persönlichen Kontakten im Großen wie im Kleinen. Da bleibt zweifellos immer ein Hauch von Melancholie. Andererseits ist es die Freude, dass die Verantwortung für das eigene, aber mehr noch für das Wirken der anderen geringer geworden ist. Nicht zu vergessen die neue Herausforderung, sich mit seinem Leben wieder gestalterisch und kreativ auseinandersetzen zu können und zu müssen. Also irgendwie eine neue Bühne hinter der Bühne!



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> 7 Wünsche - Gedanken von Engelbert Cremer zum Studienabschluss (2004)
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