Lockdown-Tagebuch: 16. April (Oswald Schröder)

Lockdown-Tagebuch: 16. April (Oswald Schröder)

Schwere Zeiten – vor allem für junge Menschen

Die Coronakrise ist eine Herausforderung für uns alle.  Was es für Schüler bedeutet, erlebe ich tagtäglich. Als Vater von vier Kindern habe ich noch im Haushalt zwei Söhne von 15 und elf Jahren, die sich selbst zum Lernen motivieren müssen, ohne zu wissen, wie dieses Schuljahr zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden kann.

Als Journalist, Chefredakteur und Kommentator erlebe ich die Krise als eine immense Herausforderung. Da ist auf der einen Seite der Bedarf und das gestiegene Interesse vieler Menschen an verlässlicher Information, auf der anderen Seite kämpft das GrenzEcho mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise und einem Beinahe-Zusammenbruch der Anzeigenaufträge. Folglich sind auch wir in Kurzarbeit. Wir müssen also die Zeitung mit weniger als der Hälfte der üblichen Mannschaft stemmen. Und das ist an sich schon Herausforderung genug.

Es ist für mich als Chefredakteur ist das aber nicht die größte. Die liegt darin, selbst in Zeiten, in denen gesellschaftlicher Zusammenhalt das oberste Gebot zu sein scheint, kritischen Journalismus zu betreiben. Dabei bewege ich mich als Kommentator meist auf einem ganz schmalen Grat. Vor allem zu Beginn der Krise galten die Empfehlungen der Wissenschaftler als unanfechtbar. Dabei genügte ein Blick über die Grenzen unseres Landes, um festzustellen, dass in anderen Ländern nicht weniger kompetente Virologen und Epidemiologen zu anderen Ergebnissen, Ansichten und Empfehlungen kamen. Bei näherem Hinsehen und Hinterfragen war auch schnell erkennbar, dass die Zahlen, auf denen Analysen und Empfehlungen beruhten, alles andere als verlässlich waren.

Mittlerweile wissen wir, dass hinter mancher Empfehlung keine wissenschaftlich fundierte, sondern eine politische Motivation stand. Außerdem rückten, nach einer ersten Phase des Tunnelblicks auf rein medizinisch bzw. gesundheitsrelevante Aspekte, endlich wieder wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte stärker in den Vordergrund. Als Journalisten haben wir die Aufgabe, Verkürzungen oder Perspektivverzerrungen auf einen einzigen Aspekt einer Gesamtproblematik zurechtzurücken. Auch wenn man uns dabei als Nestbeschmutzer, Schwarzmaler oder Schlimmeres bezeichnet – was auch mir passiert ist.

Ein anderer wichtiger Aspekt unserer Arbeit als Medienschaffende ist es, der Versuchung zu widerstehen, selbst Politik zu machen. Diese Tendenz besteht schon seit Jahren. Der Grundsatz „Schreiben was ist“, den der berühmte Publizist Rudolf Augstein einst ausgegeben hatte, ist in den letzten Jahren schwer unter Druck geraten. Journalisten sind nicht mehr die neutralen Beobachter dessen, was geschieht. Sie intervenieren immer mehr und verstärken oft gesellschaftliche Tendenzen. Zugegeben: Der objektive Journalismus ist eine Chimäre. Alleine dadurch, dass ich als Blattmacher dem einen Thema den Vorzug vor einem anderen gebe, bin ich subjektiv. Das was aktuell geschieht und in der Coronakrise immens verstärkt wurde, hat aber einen andere Qualität: Journalisten vermischen immer öfter Berichterstattung und Kommentar. Ich persönlich reagiere darauf ziemlich allergisch. In diesem Punkt bin ich sehr konservativ und erwarte von meinem GrenzEcho-Team, dass jeder die Fakten mit all ihren Aspekten und aus verschiedenen Blickwinkeln präsentiert. Daneben gibt es den Kommentar, der eine eindeutige Position bezieht. Das muss er dann aber auch leisten. Kommentare, die erkennbar auf möglichst breiten Applaus aus sind, muss man in die Kategorie „Populismus“ einordnen. Das GrenzEcho hat eine Charta, die sich z.B. zur sozialen Marktwirtschaft, aber auch zu der Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft oder zu unserer konstitutionellen Monarchie bekennt. Kommentare und Leitartikel sollten auf dieser Grundlage geschrieben werde.

Und weil ich nicht mit meiner Meinung hinter dem Berg halte: Die Auswirkungen der Coronakrise wurden und werden, nach meinem bescheidenen Dafürhalten, vor allem in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen immer noch gewaltig unterschätzt. Der eingeschlagene Weg der Unterdrückung der massiven Ansteckungen bedingt ein starkes, langanhaltendes Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens. Tausende Unternehmen werden daran zugrunde gehen – trotz massivster und nie gesehener Billionen starker Hilfsmaßnahmen. Die Politik und die Medien unterschätzen überdies die Komplexität der wirtschaftlichen Zusammenhänge und Abhängigkeiten in unserer auf Aufgabenteilung auf globaler Ebene aufgebauten Wirtschaft: Ihre Empfehlungen werden sich in vielen Fällen als nicht umsetzbar erweisen.

Wir werden diese Krise überstehen, keine Frage. Aber es wird Jahre dauern, bis die Folgen verdaut sind. Die Schulden werden wir wahrscheinlich über Generationen vor uns herschieben. Möglicherweise wird eine neue Geldordnung erforderlich werden. Die Kollateralschäden, die beispielsweise der Green Deal der EU und die (ohnehin nur schwach verfolgte) Bekämpfung des Dahinschwindens der Biodiversität nehmen werden, sind immens. Leider vergessen wir in der westlichen Welt auch ganz oft, was auf anderen Kontinenten oder in Schwellenländern passiert. Wer fordert, dass bestimmte Produktionen wieder in Europa angesiedelt werden, um die Abhängigkeit z.B. von China zu verringern, muss zweierlei bedenken: Erstens nimmt man dort Menschen, die erst kürzlich den Weg aus Not und Armut gefunden hatten (unter ähnlich fragwürdigen Umständen übrigens, die wir in Europa im 19. Jahrhundert erlebt haben), die Chance auf wirtschaftlichen Aufstieg. Und zweitens muss man in Europa erst einmal ein Unternehmen finden, das den Job machen will, und Arbeiter, die sich für solche Jobs nicht zu schade sind. Es sei denn, man lässt Roboter die Arbeit machen. Dann muss man aber unser ganzes Steuersystem umstellen, das auf der Besteuerung von Arbeit aufbaut. Etc, etc. Das riecht nicht nur nach viel Arbeit, das ist eine Mammutaufgabe!

Die Coronakrise hat zu gefährlichen Simplifizierungen und Blickverkürzungen geführt. Nach dem Ende der Krise wird die Welt erneut in ihrer ganzen Komplexität und Interdependenz vor uns stehen. Und die simplen Lösungen werden sich schnell als unrealisierbar erweisen. Ich bin von Hause aus ein Optimist. Ich würde mir also wünschen, dass wir aus dieser Krise lernen und einige Missstände abstellen und insgesamt nachhaltiger werden. Wenn ich aber sehe, wie viele Milliarden und Billionen jetzt schon in die Wiederbelebung der Wirtschaft (also in die „old economy“) gepumpt werden, fürchte ich, dass sich das Hamsterrad in Zukunft noch schneller statt langsamer drehen wird.

Sorry, aber ich sehe es als meine Pflicht an, meine ehrliche Meinung zu sagen. Auch wenn ich meinen Kindern und euch eine (noch) bessere Zukunft wünschen würde, in dem wir Menschen endlich verstehen, dass wir nicht die Herren der Schöpfung, sondern Teil eines komplexen Ökosystems sind, das wir dabei sind, schwer zu schädigen. Und dabei tragen wir einzeln und kollektiv VERANTWORTUNG.

Euch wünsche ich alles Gute.

Oswald Schröder

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