Werden braucht Zeit.
 
 

 
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Das Ehrenamt an BS und TI
 
  Säen, wachsen, reifen braucht Zeit. Und zu diesem Zeitnehmen gehört die Geduld, die Fähigkeit, warten zu können, Ausdauer und Langmut zu haben, Nachsicht zu üben.  - Dem Gärtner, ist es wichtig, dass sein Baum Frucht bringt.

Direktor Engelbert Cremer zur Abiturfeier 2008-2009
 


Liebe Eltern, liebe Abiturienten, sehr geehrte Ehrengäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
ich möchte Sie alle recht herzlich zur diesjährigen Abschlussfeier willkommen heißen und begrüßen. Liebe Abiturienten!  Es ist Euer Tag!
 Ich brauch Euch nicht zu sagen, dass Ihr heute ein wichtiges Etappenziel erreicht habt und stolz darauf sein dürft. Das wisst Ihr.  Ich brauch Euch auch nicht zu sagen, dass Ihr allen Grund zum Feiern habt.  Das habt Ihr Euch schon selbst gesagt!  
 Woran ich vielleicht erinnern könnte: Vergesst nicht dankbar zu sein, an aller ersten Stelle Euren Eltern, die Euch in all den Jahren begleitet haben, ohne großes Aufheben, meistens still, manchmal verärgert, aber immer getragen von Sorge um Euch.  Denkt daran und sagt es auch.  Das kann man auch im Stillen tun, ohne viel Aufhebens.  Eure Eltern haben sich das verdient, ohne je an Verdienst gedacht zu haben.
 
Als ich über den heutigen Tag nachdachte und mich fragte: „Wie könntest du so kurz wie möglich etwas sagen, was dir wichtig scheint, aber auch Lehrer, Abiturienten, Eltern in ihrem Dasein hilfreich sein könnte und auch noch den gesellschaftlichen Auftrag vor Schule und Bildung umreißt“, schien mir dies unmöglich.  Das war zu ehrgeizig.  Bis mir ein Text einfiel, der normalerweise auf einer Abschlussfeier nichts zu suchen hat: zu knallhart, zu offen für Fehlinterpretationen und Missverständnisse!  
Und doch ließ er mich nicht los, und so wage ich es:
 
„Es hatte jemand einen Feigenbaum, der in seinem Weinberg gepflanzt war und er kam und suchte an ihm nach Frucht, fand aber keine.  Da sagte er zum Weingärtner: ‚Siehe, schon 3 Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine; hau ihn heraus!  Wozu soll er den Boden aussaugen.’
Der aber antwortete ihm: ‚Herr, lass ihn noch dieses Jahr, bis ich rings um ihn aufgehackt und Dünger dazugetan habe; vielleicht bringt er Frucht, wenn aber nicht, dann magst du ihn immer noch umhauen lassen.’“ (Lk 13, 6 - 9)
 
Auf den ersten Blick schon eine knallharte Geschichte.  Einfach, weil wir als Kinder unserer Zeit sofort Folgendes glauben zu verstehen: Wer nichts leistet, hat keine Daseinsberechtigung, muss den Kürzeren ziehen, fällt den anderen zur Last, saugt den Boden aus!
 
Aber dieser Teil der Geschichte interessierte mich nicht.  Mich interessierte der Weingärtner, der da sagt:
„Moment mal, lass ihm noch ein bisschen Zeit, ich lockere den Boden auf, damit lebensspendendes Wasser besser eindringen kann, und gebe ihm Nahrung, vielleicht bringt er dann Frucht.“  Er gibt dem Baum noch eine Chance, zwar nicht endlos viele, aber noch eine.
 
Der Gärtner lebt von der Hoffnung, dass sein Baum eines Tages Frucht bringt und trifft einen Entschluss: „Sollte er sich schwer tun, Früchte zu bringen, dass lasse ich ihn nicht allein in seiner Mühe, ich werde ihm beistehen.  Und das bedeutet Arbeit!“
 
Ich wünsche uns diese Hoffnung des Gärtner, wissend, dass sie Arbeit macht, und sollte sie uns mal verloren gehen, dann hoffe ich, dass wir uns zusammenreißen und wieder von vorne anfangen zu hoffen.

Ihm, dem Gärtner, ist es wichtig, dass sein Baum Frucht bringt.  Nicht der Zeitpunkt – es muss nicht „morgen“ sein. Auch nicht, dass er früher – in den Jahren davor – keine gebracht hat.  Er weiß: Werden braucht Zeit.  Wie wohltuend, dies zu wissen. Ist es nicht so, in unserer schnelllebigen Zeit, dass wir – kaum dass wir gesät haben - schon die Sichel zum Ernten auf dem Rücken halten, denn Zeit ist ja bekanntlich Geld.  Säen, wachsen, reifen braucht Zeit.  Das Werden braucht Zeit.  Und zu diesem Zeitnehmen gehört die Geduld, die Fähigkeit, warten zu können, Ausdauer und Langmut zu haben, Nachsicht zu üben.  
 
Ich wünsche uns diese Geduld des Gärtner, Geduld mit uns, Geduld mit anderen und sollte sie uns mal verloren gehen, dann hoffe ich, dass wir uns wieder finden und von vorne beginnen.

Die Hoffnung unseres Gärtner ist, dass der Feigenbaum, Feigen trägt.  Es käme ihm nie in den Sinn zu erwarten, dass er Äpfel trägt.
 Wie viele Menschen sind todunglücklich, weil sie etwas von sich erwarten, was sie nicht erfüllen können und weil etwas von ihnen erwartet wird, was sie trotz bestem Mühen und Bemühen nicht geben und tragen können?
 Wichtig ist, dass sich jeder so nimmt, wie er ist und auch so genommen wird.  Wichtig ist nur, dass er nicht verdorrt, sondern seine Frucht bringt, egal ob Feige, Apfel oder eine Haselnuss und dass der helfende Weingärtner stolz auf jede dieser Früchte ist.  Eine Ente kann nicht fliegen wie ein Adler und ein Adler nicht tauchen wie eine Ente.  Ein besserer Adler und eine bessere Ente ist das Ziel des helfenden Gärtner, so kann jeder dort zu Hause sein, wo er zu Hause ist.
 
Ich wünsche uns, dass wir aus dem, was wir sind, das Beste machen, und sollte es uns nicht gelingen, wünsche ich uns, dass wir nicht verzweifeln, sondern wieder von vorne anfangen.

Was hat unseren Weingärtner wohl dazu bewogen, seinen Herrn zu überreden, dem Feigenbaum noch eine Chance zu geben.  Damit halste er sich ja jede Menge Arbeit auf.  Er hätte es doch auch bequemer haben können: Motorsäge – ratsch –futsch. Feierabend.  
Es mag wohl Liebe und Zuneigung zu seinem Baum gewesen sein.  Denn sie allein gewährt Zeit, ist geduldig, nimmt dich so wie du bist, scheut die Mühe nicht und lässt manche Motorsäge ins Stottern geraten.



Ich wünsche uns diese Zuneigung dem gegenüber, was uns anvertraut ist, und sollte sie uns mal verloren gehen, dann hoffe ich, dass wir sie wiederfinden, damit uns der Anvertraute nicht verloren geht und wir uns selbst nicht verlieren.  Es ist nie zu spät, wieder von vorne zu beginnen.

Bliebe noch zu ergründen, was sich unser Weingärtner vom Aufhacken und Düngen des Bodens verspricht.  Er weiß, dass die Kraft des Baumes von den Wurzeln ausgeht.  Erhalten sie Nahrung, hat er die Chance, Frucht zu bringen.  Hat er aber keine Wurzeln, oder sind diese verdorrt, wäre alle Mühe umsonst.
Zum Wachsen und Früchtebringen brauchen wir Wurzeln.  Es ist unsere Geschichte, unsere Herkunft, unsere Vergangenheit, all das, was uns geprägt hat.  Ein alter Indianer hat mal gesagt: „Wenn Du die Zukunft planen willst, kehre ihr den Rücken zu.“  Gemeint hat er wohl, wer sich den Erfahrungen des Lebens nicht stellt, an diesen Herausforderungen gewachsen ist, sich seine Wegbegleiter nicht in Dankbarkeit erinnert, dem fällt es schwer, sich auf Neues einzulassen und sich dem Leben zu stellen.  Es wird ihm schwerfallen seine Frucht zur Reife zu bringen.  Das Reifen der Frucht braucht Licht und Wurzeln, die wir aber zumindest in unserer Erinnerung und unserem Tun nicht im Dunkeln lassen dürfen.
 
Ich wünsche uns, dass wir unsere Wurzeln nie vergessen, es hat mit dem zu tun, was wir sind und was wir werden und ich hoffe, dass wir ihrer nie verlustig werden, denn es wäre so, als würden wir unsere Seele verlieren.

Ich denke, unser Weingärtner hat jetzt sein Bestes getan: er gab Zeit, war geduldig, erwartete von seinem Baum nicht Unmögliches, gab ihm Zuneigung und scheute die Arbeit nicht und versorgte seine Wurzeln.  Jetzt müsste es ihm doch gelingen, seinen Baum wieder aufzupäppeln.  
Aber da wäre noch ein Haken - oder auch zwei:
Frucht bringen, muss jeder Baum selber, das kann kein Gärtner machen, hier versagt der beste Gärtner, denn er kann ihm nur den Boden bereiten.
 
Ich wünsche uns, dass wir uns unserer eigenen Verantwortung stellen, tun, was wir selber tun können, und sollte dies verloren gehen, wird es kaum möglich sein, Früchte zu bringen.

Trägt der Baum dann endlich Frucht in Hülle und Fülle, werden sich seine Äste vor Last biegen und drohen zu brechen.  Will er dann überleben, gibt es keine andere Lösung als die, Frucht zu bringen, denn wer Frucht trägt und für sich behält, droht daran zu zerbrechen, wer aber Frucht bringt, lässt andere davon leben und erfährt die Fülle und die Leichtigkeit des Seins.
 
Ich wünsche Euch, liebe Abiturienten diese Fülle und diese Leichtigkeit des Seins - und für die Tage, wo Hagel, Eis, Sturm, Regen und brennende Sonne Eure Früchte in Gefahr bringen, wünsche ich Euch den guten Weingärtner, der Euch zur Seite steht. Denn eines ist gewiss: „Wir sind dazu bestimmt, Frucht zu bringen.“

 
 
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