Josef Dries: Geschichte der Bischöflichen Schule St.Vith mit Daten und Fakten zu Ostbelgien 1920-2007
 
 

 
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Das Ehrenamt an BS und TI
 
  Josef Dries, selbst “ein Teil der BS” (Lehrer und Schüler), heute Chef im Kabinett des Unterrichtsminister der Deutschsprachigen Gemeinschaft Oliver Paasch durfte schon vorab einen Blick in das neue Buch werfen.  Hier sein Exposé:

Die Besprechung eines Buches oder dessen Vorstellung bei der Veröffentlichung ist nie ein leichtes Unterfangen. Und doch habe ich, als Engelbert Cremer mich am Freitag vor acht Tagen fragte, ob ich die Buchvorstellung übernehmen könnte, spontan „Ja“ gesagt.
Wie es nun mal meistens so ist, entsteht immer ein gewisser Zeitdruck. So bot sich mir erst gestern Morgen die Gelegenheit, die vorliegenden Druckfahnen zu lesen.
Erwarten Sie deshalb auch nicht, dass ich Ihnen eine perfekte, in allen Punkten hieb- und stichfeste Besprechung liefere. Ich hoffe Sie sind ein nachsichtiges Publikum. Auch warne ich Sie: Eine objektive Sicht sollten Sie von mir nicht erwarten. Seit mehr als fünfzig Jahren ist die Bischöfliche Schule ein wichtiger Teil meines Daseins und bin ich ein auch Teil der Schule, sei es als Schüler oder als Lehrer.

Lassen Sie mich mit einer etwas chauvinistischen Bemerkung beginnen: Beim Durchblättern des Buches hat man den Eindruck, man habe es mit dem „Gotha“ der DG zu tun. Oder um es mit der „Bild“-Zeitung zu halten: „Wir sind Bischof.“ „Wir sind Ministerpräsident.“


Schülerinnen und Schüler geben der Schule ein Gesicht

Aus der Fülle der Namen und Gesichter, denen man im Buche an der einen oder an deren Stelle begegnet, greife ich eigentlich rein zufällig, einen Namen heraus: José Close, Abiturjahrgang 1966, geboren im wallonischen Faymonville, Außenborn von den Menschen genannt, die in den benachbarten Ortschaften leben. Übrigens werden diese Ortschaften von den „Wallons prussiens“ als „les villages allemands“ bezeichnet. Übrigens stammte auch der Gründungsdirektor Benoît Ledur aus dieser Ortschaft. Warum erwähne ich den Namen von „José Close“? Vor einigen Tagen erreichte mich auf meinem Arbeitsplatz im Kabinett des Unterrichtsministers per elektronischer Post eine Anfrage, die mit dem erwähnten Namen unterzeichnet und mit dem Zusatz versehen war: „Tu te rappeles. Bischöfliche Schule!“ In der Tat konnte ich mich sehr gut an José erinnern. 1958 besuchte er zuerst die „Classe française“ und blieb in der Schule bis zu seinem Abitur. Er war damals als Schüler aus Faymonville keineswegs ein Einzelfall.
Lässt man die Namen der Schüler und deren Herkunftsorte Revue passieren, so ist das allein auch schon ein Teil unserer Schul- und Regionalgeschichte. Bis zum Beginn der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts besuchten nicht nur Schüler aus den Orten der belgischen Eifel, sondern auch eine ganze Reihe von Jungen aus dem benachbarten Welschland unsere Schule. Auf dem Schulhof herrschten zu dieser Zeit schon Sprachenvielfalt und auch wohl in dem einen oder anderen Fall – so würde man heute sagen - interkulturelle Kommunikationsprobleme: Die Mürringer „kallten“ bedächtig ihren ripuarischen Dialekt, der den Ohren der moselfränkisch „schwätzenden“ Reuländern doch recht skurril anmutete; Büllinger und Sankt Vither galten sowieso als etwas Besseres, sprachen sie doch untereinander Hochdeutsch; die Jungen aus den wallonischen Dörfern „djasaient le Wallon“, was wiederum für die Französisch sprechenden Söhne der hiesigen Gendarmerie-, Forst- oder Zollbeamten wie eine Fremdsprache klang.

Zum „internationalen“ Mixt kamen immer wieder - vornehmlich auch seit den siebziger Jahren - Schülerinnen und Schüler aus dem Raume Vielsalm oder Bastogne. Sie sollten hier, im Sprachenbad eingetaucht, die Feinheiten der deutschen Sprache erlernen. Für Einige mag das Bad wohl eher sich wie ein ätzendes Säurebad angefühlt haben.
Immer wieder waren und sind auch bundesdeutsche Schüler an der BS eingeschrieben gewesen. Die Gründe hierfür liegen wohl einerseits in der Tatsache begründet, dass es ein kostengünstiges Internat gab. Auch mögen die gegenüber den Gewohnheiten in der Bundesrepublik noch strengeren schulischen Erziehungsweisen eine Rolle gespielt haben.
Eine zahlenmäßig im letzten Jahrzehnt ganz besonders hervorzuhebende Schülerkategorie kommt aus dem benachbarten Großherzogtum Luxemburg. Hier liegt die Attraktivität der BS wahrscheinlich im luxemburgischen Schulsystem begründet, dass schwächeren Schülerinnen und Schülern eher „gnadenlos“ begegnet, während in Sankt Vith durch differenzierten Unterricht auch diesen Jugendlichen eine Bildungschance eröffnet wird.  Die Tatsache, dass die BS über eine landwirtschaftliche Abteilung verfügt, spielt für die Ausbildung mancher zukünftigen Landwirte im Ösling eine Rolle. Dies gilt auch für Eupener, die den langen Weg über das „gefährliche Hohe Venn“ wagen, um eine landwirtschaftliche Ausbildung zu erhalten. In der DG ist dies die einzige gebotene Möglichkeit.
Doch ist die Internationalität nicht nur auf die unmittelbaren Nachbarschaft beschränkt: So kamen für kürzere Zeit nach dem ungarischen Aufstand des Jahres 1956 auch geflüchtete junge Magyaren an unsere Schule.
Seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts werden in zunehmender Weise auch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an der Bischöflichen Schule: Sie kommen aus Polen, aus Kasachstan, aus Russland, aus dem Kosovo, aus asiatischen oder afrikanischen Staaten. Teils sind sie in der Anpassungsklasse, teils im regulären Unterricht eingeschrieben.
Eigentlich müsste im sprachlich-kulturellen Grenzraum eine gute interkulturelle Kompetenz die Regel sein. Ob dies tatsächlich immer so ist und ob nicht doch verschiedentlich Vorurteile die Sicht versperren, sei hier nur als Frage formuliert.


Lehrpersonen als Vorbilder

Die Herkunft der Lehrpersonen ihrerseits spiegelt auch den Werdegang unserer Schule und ihre Einbettung in die regionale Geschichte wider. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einheimische Lehrpersonen zu einer seltenen Gattung. Viele von ihnen, wenn sie den Krieg denn überlebt hatten, waren der „Epuration“, der Säuberung zum Opfer gefallen und mit Berufsverbot belegt worden. Deshalb lehrten Geistliche aus dem wallonischen und aus dem flämisch-limburgischen Teil des damals noch die Provinzen Lüttich und Limburg umfassenden Bistums an der BS. Sowieso waren den fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre viele der Lehrpersonen, die von auswärts kamen, Priester. Sie prägten maßgeblich das Bild der Unterrichtsanstalt. Ich darf einen von ihnen, der bei mir bleibende Eindrücke hinterlassen hat, namentlich erwähnen: Paul Bijvoet, ein Limburger, war in der damaligen „Quatrième“ unser Lehrer für fast alle wichtigen Fächer: Er unterrichtete Latein, Griechisch, Französisch, Geschichte und Erdkunde. Er hat uns damals Vierzehnjährigen eine Neugierde, eine Wissbegier eingepflanzt, für die ich ihm unendlich dankbar bin. Legendär sind die Stunden im Schuljahr 1960/61, als er eigentlich jeden Samstag die Griechischstunde nicht mit Übersetzungen von Xenophons „Anabasis“ oder mit Stammzeiten verbrachte, sondern auf unsere Fragen zum Zeitgeschehen einging und – es war die Zeit der Kongokrise - kritische Blicke auf die „Leistungen“ der belgischen Kolonialpolitik wagte. Großen Wert legte er im Französischunterricht auf die Heimlektüre, bei deren Auswahl er uns zu ersten Begegnungen mit den Grossen der Weltliteratur führte. Ich erinnere mich, dass ich den Roman „Oliver Twist“ von Charles Dickens lesen musste. Weniger angenehm war, dass eine Rezension erstellt werden musste, die man bei ihm in seinem Büro mündlich und ohne schriftliche Vorlage vorgetragen musste.

Beim Lesen der Texte oder dem Anschauen der Fotos im Buch kommen aber auch Erinnerungen an den einen oder anderen Priester-Lehrer, der eher zur Gattung der Ängstlichen und Engstirnigen gehörte. Auch unter den Laien reichte die Palette vom Schmalspurintellektuellen bis zum hochkarätigen Schöngeist, vom ätzenden Misanthropen bis zum fördernden Menschenfreund. Kurz, wie überhaupt im Leben: „Il faut de tout pour faire un monde.“ Im Laufe der Zeit stieg die Zahl der Hochschul- und Universitätsabsolventen aus dem deutschen Sprachgebiet und dies machte sich seit den sechziger Jahren auch bei der Zusammensetzung des Lehrerkollegiums bemerkbar. Gleich wohl stammt bis zum heutigen Tag eine Reihe von Lehrpersonen aus dem benachbarten französischsprachigen Raum, andere kommen aus der Bundesrepublik Deutschland und wieder andere aus Mittel- und Osteuropa. Dieser Mixt – das wage ich mal zu behaupten – kann eigentlich nur gut tun und mit für Weltoffenheit sorgen.
Die wichtigste Entwicklung aber, die sich sowohl im Lehrerkollegium der BS als eigentlich überall in der westlichen Welt im Unterrichtswesen feststellen lässt, ist die Feminisierung. Selbst an einer vorwiegend von Jungen besuchten Schule mit einer starken technischen Abteilung hat dies dazu geführt, dass die Hälfte der Lehrpersonen mittlerweile Frauen sind.
Auch darin spiegelt eine Schule Entwicklungen wider und zeigt sich die veränderte Rolle und wachsende Bedeutung der Frauen in der heutigen Gesellschaft.
Die vorgenannten Entwicklungen, sowohl was die Schüler als auch die Lehrer angeht, sollten als Chance verstanden und genutzt werden, um den Reichtum der Vielfalt erfahrbar zu machen.

Unter dem Titel „Offenheit der Einheimischen gegenüber Fremden notwendig“ unterstreicht Patrick Küpper, studierter Demograph und Geograph, die Bedeutung von Toleranz und Weltoffenheit in einer globalisierten Welt und stellt die Frage: „Schaffen wir es, dass die Welt zu Gast bei Freunden sein könnte?“


Von Monopol und Wahrheit zu Vielfalt und Offenheit

Bis zu Beginn der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts schien die Welt noch in Ordnung: In der Eifel waren Oben und Unten noch deutlich identifizierbar: Pastor und Lehrer bestimmten den Werdegang so mancher Jugendlichen mit quasi unfehlbarer Autorität. Die beiden genannten Instanzen entschieden, ob man die Dorfschule verlassen konnte und, wenn ja, wohin man orientiert wurde. Der Königsweg oder das „omnivalente“ Abschlussdiplom, das den Zugang zu allen Studiengängen bot, war allein in der Latein-Griechisch-Abteilung zu erwerben. Diese Monopole endeten in den sechziger Jahren: Der Besuch der Sekundarschule wurde zur Regel und schließlich, vor allem nach der Einführung des so genannten erneuerten Unterrichts, kam es zu einer inflationären Verteilung von Sekundarabschlüssen, die alle gleichbedeutend waren mit der Zugangsberechtigung zu Hochschule und Universität.
Auch eine andere Vorherrschaft endete in den sechziger Jahren, die absolute Vorherrschaft des Französischen als Unterrichtssprache in der Sekundarschule. Darüber später noch ein Wort.
Für unsere Schule gingen die vorgenannten Entwicklungen einher mit einer substantiellen Aufwertung der technischen Ausbildung und mit einer nachhaltigen Steigerung der Qualität des Unterrichts der Naturwissenschaften. Im letzteren Bereich kam dies einem Quantensprung gleich. Parallel mit diesen Entwicklungen im Unterricht waren auch die kirchlich-religiösen Veränderungen, die sich im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils auch in den Schulen bemerkbar machten so dramatisch wie die kopernikanische Revolution. Aus dem Zentrum wurde Kirche und Religion immer mehr an den Rand gedrängt, nur mehr ein Planet unter anderen. Mit anderen Worten: Die Kirche hatte das Deutungsmonopol endgültig verloren. Die Säkularisierung  und in ihrem Schlepptau der wissenschaftliche Rationalismus erreichten und eroberten auch die katholischen Schulmilieus. Kirchliches Dogma und das „freie“ Gewissen schienen unüberbrückbare Gegensätze geworden zu sein.
In seiner Zukunftssicht verschließt Bischof Jousten seine Augen nicht vor diesen Vorgängen: Auch wenn die Kirche nur noch für eine Minderheit eine lebensprägende Rolle spiele, so könne doch das im Glauben gründende „gute Miteinander“ Vorbild für die Welt sein.


Schule als Seismograph

Der Seismograph ist bekanntlich ein hochsensibles Messinstrument, das alle Erderschütterungen registriert. Für die Geologen sind die von uns so gefürchteten Erdbeben der Beweis dafür, dass die Erde sich ständig entwickelt. Ja, die Tektonik wird als eine der Voraussetzungen für die Entwicklung des Lebens betrachtet.
Im vorliegenden Buch werden nicht nur gesellschaftlich-politischen Erschütterungen registriert sondern auch, durch sie verursachte nachfolgende Veränderungen aufgezeichnet.


„La guerre scolaire“

Hochinteressantes Material zum Verlauf des „Schulkampfes“ wird als Fotokopie veröffentlicht und somit zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Interessant ist der Hinweis auf die emanzipatorische Wirkung der Vorgänge rund um die katholischen Schulen und deren Verteidigung im Eifler Kontext. Zum ersten Mal nach dem Krieg wagten Menschen, in einer von kirchlicher Seite wohlweislich als „unpolitisch“ bezeichneten Frage sich deutlich zu äußern und laut und offen gegen die amtierende Regierung zu protestieren. Noch geschah dies unter der Obhut und Kontrolle des Klerus, im Einvernehmen mit den Parteiinstanzen der CSP und mit dem Segen des allmächtigen Chefredakteurs des „Grenz-Echo“. Ein unerhörter Vorgang knapp zehn Jahre nach Kriegsende.

Jedenfalls als Ergebnis der Auseinandersetzungen wurde der so genannte “Schulpakt“ abgeschlossen, der bis heute die Schullandschaft Belgiens und auch die in der Deutschsprachigen Gemeinschaft nachhaltig bestimmt. Bis zum heutigen Tag leistet sich das Land in seinen verschiedenen Gemeinschaften unterschiedliche Schulnetze. In manchen Orten – so auch in der DG – stehen Doppel- und Dreifachangebote ähnlicher Ausbildungen zur Auswahl. Vor kurzem zogen frankophone Volkswirte auf einem Kongress in Louvain-la-Neuve hierzu folgendes Fazit: Entgegen jeder ökonomischen Vernunft leisten wir uns – vor allem im Bereich der Sekundarschulen -gleichzeitig eines der teuersten und ineffizientesten Schulsysteme innerhalb der OECD-Staaten. PISA lässt grüssen.


Unterrichtssprache und Chancengerechtigkeit

Eine für das ganze deutsche Sprachgebiet prägende Rolle spielte die BS in der so genannten „Sprachenfrage im Unterricht“. Auch hierzu gibt es interessante Einblicke, die an Aktualität nichts zu wünschen übrig lassen. Anfang der fünfziger Jahre schrieb der junge Priester Wim Geelen angesichts der Nöte vieler Schüler, mit dem Unterricht in französischer Sprache zurechtzukommen, seinem Direktor: „Wer nicht einigermaßen sprachlich begabt ist, geht unter.“
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine persönliche Bemerkung zur aktuellen Diskussion um den Französischunterricht: Man hat manchmal den Eindruck, als gäbe es nichts anderes, keine andere pädagogische oder erzieherische Frage von Bedeutung als den Unterricht des Französischen an unseren Schulen. Um es mit einem Bild zu umschreiben: Wenn alle Probleme Nägel sind, ist der Hammer immer die beste Lösung. So ist für viele der pädagogischen „Fachleute“, die sich politisch äußern, das einzige Problem im Unterrichtswesen die Kenntnis des Französischen zu sein und die einzige Möglichkeit die Sprachenkompetenz zu erhöhen: mehr Stunden für die französische Sprache. Dann, so glaubt man, müsse das Mehr auch zwangsläufig, bessere Ergebnisse hervorbringen. Ob dem so ist, soll zumindest als Frage erlaubt sein.

Als Mitte der sechziger Jahre das Thema des Fachunterrichts in der Fremd- oder in der Muttersprache aufgeworfen wurde, stand der soziale Aspekt unter dem Stichwort „Demokratisierung“ oder anders ausgedrückt „der Zugang zu höheren Studienabschlüssen für eine breitere Schulbevölkerung“ im Fokus. Es waren in der Tat harte Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Auffassungen gerade auch innerhalb des Lehrpersonals der BS. Vor allem aber wurde das ganze deutsche Sprachgebiet von jahrelangen Leserbriefschlachten regelrecht erschüttert. Die Diskussion blieb nicht auf pädagogisch-wissenschaftliche Argumente beschränkt, sie bekam vielmehr einen durch und durch politischen Charakter mit partei- und - avant la lettre - gemeinschaftspolitisch ungeahnten Konsequenzen. Und die BS war nicht nur im Epizentrum dieses Bebens, sie war dessen Herd und Ursprung.


Niermänner und Krautgärtner

Es freut mich ganz besonders, dass die Verantwortlichen für diese Buch es nicht versäumt haben, eine Affäre zu erwähnen, die im deutschen Sprachgebiet und weit darüber hinaus für Schlagzeilen gesorgt hat. „Niermann und kein Ende“, könnte man in Erinnerung an die Jahre zwischen 1987 und 2000 sagen. Auch hier stand die BS im Brennpunkt der Auseinandersetzungen: Waren doch zwei ihrer Lehrer, Lorenz Paasch und ich selber, in den Organen der Stiftung tätig. Die BS selber – und der Vorgang , wie die Entscheidung zustande kam, wird klar beschrieben – die BS erhielt finanzielle Unterstützung seitens der Stiftung, die sich in Millionen Franken rechnete und die bis heute den Schülern und Lehrern zugute kommt.

Auf der anderen Seite schrieb ein Lehrer der Bischöflichen Schule, der für „krautgärtnerische“ Tätigkeiten mit vollen Bezügen vom Unterricht befreit war, von den „Vollen Taschen des Bischofs“ und versuchte sich in der Anwendung von politischen Totschlagargumenten. Der Mut, dieses Kapitel nicht unerwähnt zu lassen, freut mich auch persönlich ganz besonders, da ich bis zum heutigen Tag Mitglied des Kuratoriums der Niermann-Stiftung bin.


Momentaufnahmen als geschichtliche Quellen

Als ganz besonders lesenswert empfinde ich die Stellungnahmen, die unter der Rubrik „Momentaufnahmen“ eine ganz persönliche Sicht auf das unmittelbar erlebte Zeitgeschehen werfen. Diese partielle Sicht der Dinge ist wie „in den Leib geschrieben oder gebrannt“ (Kosellek, 2006). Hier seien beispielhaft die Aussagen von Dr. Johann Huppertz erwähnt. An seinem individuellen Schicksal zeigen sich  Spannungen und Konflikte der Zwischenkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit. Vor allem bieten die unspektakulären Aussagen Anlass zum Nachdenken: Sich an seinen Vater erinnernd, stellt er fest, dass er „als Deutscher, als Preuße geboren“ worden sei. Das habe „er nie ablegen können“.  Er sei „jedoch nie ein Fanatiker gewesen. Und mit Sicherheit auch kein schlechter Belgier. Nur waren seine Vorlieben klar definiert.“ Erstaunlich ist auch die Bemerkung von Johann Huppertz, - außer im Geschichtsunterricht – er habe sich in der NS-Schule nur wenig einer Indoktrinierung ausgesetzt gesehen.
Beeindruckend ist auch, wie er sich nicht durch die widrigen Umstände hat beirren lassen, seinen Weg zu gehen und das Abitur am Jury Central in Brüssel nachzuholen. Ein Beispiel auch für Jugendliche, die durch zeitweilige Probleme etwas aus der Bahn geraten sind, nicht aufzugeben und vor allem Vertrauen in sich selbst zu haben.
Bei den persönlichen Beiträgen zeigt sich, dass gerade auch im Anekdotischen eine wertvolle Quelle zu finden ist, um Zeitgeist und Zeitumstände zu ergründen. Sei es, Rudi Thomas, der das Leben „en vase clos“, in der fast vollständigen Abkapselung, vor allem in der Abschottung vor möglichen Kontakten zum weiblichen Geschlecht, beschreibt. Sei es Alfons Velz, dessen Erinnerungen noch von den Ausläufern einer in den letzten Zügen liegenden strengen Disziplin, in der auch handfeste Argumente noch möglich waren, geprägt sind.


Einige kritische Anmerkungen

Anlässlich der Vorstellung des zweiten Bandes der Trilogie „Die Säuberung“ von Carlo Lejeune ging Freddy Cremer in einem bemerkenswerten Vortrag auf einige „schwarze Löcher“ in der Geschichte unseres Gebietes ein, die für die Identität und die unsere Selbstsicht von Bedeutung sind: Namentlich erwähnte er zwei Ereignisse, die er nicht in die Kategorie der Sternstunden der DG einbezogen hat: Dies war zum einen die Diskussion, die Anfang der achtziger Jahre um die Namensgebung der unserer Gemeinschaft. Zur Debatte standen die Adjektive „deutsch“ und „deutschsprachig“. Es war weniger die letztendlich erfolgte Wahl des „deutschsprachigen“ die zu bedenklich war, als vielmehr die Argumentation, die angeführt wurde: Man ließ ganz bewusst unsere Teilnahme an der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts als „schwarzes Loch“ bestehen. Eine der Folgen bis heute ist die Tatsache, dass wir es mit der Namensgebung unseres Gebietes und der hier lebenden Menschen recht schwer tun.

Das andere Ereignis, das als verpasste Chance zu betrachten sei, so Freddy Cremer, sei die Festlegung des Feiertags der DG auf den 15. November, einem Tag der mit unserer Geschichte und Identität zumindest nichts Substantielles zu tun habe und eine unhistorische Verlegenheitslösung sei.
Im jetzt vorliegenden Buch tut man sich hier und da schwer in der Wortwahl, wenn  es um die Bezeichnung des Gebietes und der Menschen geht, über das und über die wir schreiben und sprechen. Auch ich eiere oft herum und weiß manchmal nicht so recht, wie man sich nun nennen soll.
Alain Langer spricht in seinem Beitrag über unsere Landschaft von der belgisch-deutschen Eifel. Was mir gut gefällt, aber im Begriff „Eifel“ ist das Eupener Land nicht inkludiert.
Im Buch werden Begriffe wie „Ostbelgien“ oder „Ostkantone“ manchmal in einem Zusammenhang verwendet, der anachronistisch ist: Für die Zeit vor der Angliederung an Belgien sollte man die vorgenannten Begriffe nicht brauchen.
„Eupen-Malmedy-St. Vith“ wird im Buch manchmal für die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg verwendet. Fachhistoriker verwenden eher - auch für die ganze Zwischenkriegszeit – den Begriff „Eupen-Malmedy“.
Für das Jahr 1941 wird von den „Kantonen Eupen-Malmedy“ oder von den „Ostkantonen“ gesprochen, wo man für  die Zeit eher von den „Kreisen“  sprechen müsste.
An einer Stelle ist die Rede von „Sankt Vith als der westlichsten Kreisstadt“. Das stimmt so nicht: Sankt Vith war nicht Kreisstadt, sondern es war das westlicher gelegene Malmedy.
Problematisch und nicht ganz nachvollziehbar ist folgende Aussage: „Zwangssoldaten, die nach der Annexion in die Wehrmacht eingezogen wurden und gegen ihr eigenes Land kämpfen mussten.“ Dieser Satz könnte als hypothetischer Reflexionsgegenstand Dissertationen füllen.

Diese kleinen fachlichen Schönheitsfehler schmälern aber den Wert des Buches keineswegs, das nicht leugnen kann, dass es sich um eine Übertragung eines Ausstellungskonzepts in die Buchform handelt. Mit Sicherheit war dies ein sehr schwieriges Unterfangen. Jeder, der schon mal einen Ausstellungskatalog zur Hand genommen hat, kennt die Probleme der Umsetzung. Hier und da leidet die Lesbarkeit und Übersichtlichkeit etwas unter diesem vorgegebenen Ausstellungsparadigma.
Vor allem aber, dies sei ausdrücklich betont, ist das Buch mit seinen Faksimiles und Fotografien eine Fundgrube für diejenigen, die sich eingehender mit den Zeitvorgängen  beschäftigen wollen. Die Entwicklung der Schule wird eingebettet in das Welt-, Staats- und Regionalgeschehen. An keiner Stelle des Buches wird dem Leser eine bestimmte Sicht der Dinge aufgedrückt oder fühlt man sich belehrt. Schlussfolgerungen sind jedem Einzelnen überlassen. Das ist wohltuend, erhöht den dokumentarischen Wert und ist eine Garantie dafür, dass diejenigen, die mit der Bischöflichen Schule verbunden waren, sind oder sein werden, das Werk gerne zur Hand nehmen werden.


Fazit und Ausblick

Wird der Begriff der Identität einer Bevölkerung meiner Ansicht nach auch manchmal überstrapaziert, so ist dies in vorliegenden Buch keineswegs der Fall.
Nichtsdestotrotz sollte es nicht unter den Teppich gekehrt werden, dass „Regionen“ ebenso wie „kulturelle Identitäten“ nicht einfach von vorneherein existieren, sondern gemacht werden und als kulturelle, politische und mentale Zusammenhänge entstehen. Dies geschieht sowohl über individuelle Erfahrung als auch über soziale und administrative Verfahren bzw. Strukturen. Identität ist ein Konstrukt aus Relikten der Vergangenheit, aus Erinnerungen von Individuen und Gemeinschaften sowie – und das sei auch betont - den kulturellen und politischen Interessen der gegenwärtig Lebenden.

Gerade auch die Bewusstheit der Geschichtlichkeit, also auch der Veränderbarkeit, von Identität und der Tatsache, dass Unterschiede zwischen Menschen integrale Bestandteile von Identitäten sind, bilden eine gute Grundlage für eine so bedeutende Bildungseinrichtung wie die BS, durch praktizierte praktizierte kulturelle und gesellschaftliche Offenheit, mit den anvertrauten Schülerinnen und Schülern gangbare Wege zu gehen, die Zukunft unser Heimat in einer plurikulturellen Welt mitzugestalten, ohne sich selbst aufzugeben.
Die BS war und ist nie ein Ort der Konformität gewesen. Vielmehr ging von hier bisher immer ein Stück Widerborstigkeit oder Widerständigkeit aus, die entscheidend mit beigetragen haben, dass unsere Deutschsprachige Gemeinschaft da steht, wo sie steht. Wie sagte Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz anlässlich der letzten Haushaltsdebatte: „Die Autonomie ist ein großes Geschenk des Zentralstaates für uns gewesen.“ Ohne die Impulse, die von der Bischöflichen Schule ausgegangen sind, wäre das erwähnte Geschenk vielleicht anders ausgefallen.
Das Unterrichtswesen, das wir selbst autonom gestalten, ist, wahrscheinlich der Bereich, in dem wir mit dem Geschenk auch einen schwierigen Auftrag erhalten haben, den es auszufüllen gilt. Die BS ist in der Verwirklichung dieses Auftrags voll eingebunden.

Als „Meilenstein“ bezeichnete Engelbert Cremer im Jahre 1995 die einstimmige Verabschiedung des Infrastrukturdekrets im Unterrichtswesen: Dieses Dekret sicherte für alle Schulträger die Finanzierung größerer Bauvorhaben durch die Deutschsprachige Gemeinschaft ab.
Ich nutze die Gelegenheit, um meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass mit einer einstimmigen Verabschiedung der Rahmenpläne und der damit verbundenen Kompetenzerwartungen über die Grenzen der Unterrichtsnetze hinweg eine richtungsweisende Entscheidung für die Sicherung einer hohen Qualität unseres Unterrichtswesens getroffen wird und ganz besonders auch die BS als einer der „Leuchttürme in der Bildungslandschaft“ für den richtigen Kurs sorgen kann.

Einen weiteren richtungweisenden „Meilenstein“ hat unsere mit der Lancierung des Projekts „Leonardo-Mediothek“ und dem aus ihr initiierten Medienverbund und dem Projekt der curricularen Aufarbeitung der Informationskompetenz als fächerübergreifender Aufgabe platziert. Dieser Meilenstein wird mit Sicherheit Referenzpunkt für Schulen innerhalb unserer Gemeinschaft und auch darüber hinaus sein.

Visionen von heute sind die Wirklichkeiten von morgen. Projekte entstehen aus Visionen und diese brauchen Projektmanager, um Wirklichkeit zu werden. Im erfolgreichen Projektmanagement hat sich die BS oft ausgezeichnet.
Dass Visionen sich lohnen, das zeigen Menschen, die manchmal unter widrigsten Umständen mit Mut, Einsatz und Weitsicht diese Schule, unsere BS, gebaut haben und von denen in diesem Buch die Rede ist.

Schule, Bildung und Ausbildung, das sind permanente Baustellen, auf denen es sich zu arbeiten lohnt. Das kann und soll die Botschaft des Buches für unsere Kinder und Enkelkinder sein.

(Es gilt das gesprochene Wort.)

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