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Lesenacht und Lesemorgen zu Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“

Der Tag der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist im Allgemeinen ein freier Tag für Lehrer und Schüler. An freien Tagen tut man bekanntlich, worauf man Lust hat: keine Verpflichtungen, eine unverhoffte Oase in der mehr oder weniger anstrengenden Routine des Alltags.

Die 4.A3 hat sich aus freiem Willen dazu entschieden, ihren freien Tag mit Bertolt Brecht zu verbringen. Lesen ist immerhin keine Pflichtsache; oder zumindest muss es keine sein.

Donnerstag Nachmittag um vier nahmen wir alle den Bus nach Limerlé, zu der ASBL Périple en la Demeure, die in einem authentisch renovierten Bauernhaus des 18. Jahrhunderts ihren Sitz hat. Nach einer Stunde Fahrt wurden zunächst die Zimmer eingerichtet. Dann wurde in Gruppen gearbeitet: Eine Gruppe kümmerte sich um das Feuer im alten Steinofen, eine andere schnitt Zutaten für die Pizza zurecht und kümmerte sich um den Teig, während eine dritte auf der Bühne ihre Szene vorbereitete. Die Rollen wurden verteilt, man überlegte sich, wer am besten wo stehe, und die Szene wurde eingeübt.

Wenn die Szene fertig vorbereitet war, drehten die Gruppen: Die Ofengruppe in die Küche, die Küchengruppe auf die Bühne, die Bühnengruppe in den Ofen. Danach noch einmal. So war jeder Schauspieler auch Bäcker und Koch; das hätte Brecht bestimmt gefallen.
Nach dem gemeinsamen Pizza-Essen spielten die Gruppen dann ihre eingeübte Szene vor. Die anderen Gruppen saßen auf den Zuschauertribünen.

Am nächsten Morgen fing der Tag mit frisch gebackenen Croissants an. Einige Schüler besichtigten den kleinen Bauernhof und die Brauerei. Dann galt es, die nächsten Szenen zu lesen. Die einzige Bedingung war ein Zeitrahmen, ansonsten durfte man sich ein gemütliches Sofa wählen, den heißen Platz beim Ofen aussuchen, oder sich in Gruppe gegenseitig vorlesen. Man entschied sich für Letzteres; spontan trafen sich Gruppen und lasen sich vor.

Zwischendurch trafen wir uns zur Nachbesprechung, und Brecht stellte uns die Frage, warum es so schwierig ist, ein guter Mensch zu sein, wenn man in miserablen Verhältnissen leben muss, wie Shen Te in Sezuan.

Nach der Suppe zum Mittag hörten wir uns noch einige Szenen als Hörspiel an.

Insgesamt saßen wir mindestens acht Stunden mit Bertolt zwischen der guten Shen Te und dem bösen Shui Ta, waren wütend auf Sun und konnten Shen Tes Naivität nicht verstehen, oder Shui Tas Bosheit.

Es ist tatsächlich nicht so leicht, ein guter Mensch zu sein.
Am besten, man fängt sofort damit an.